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Kleingärten sind nicht zum Wohnungsbau da – ein Ruf zurück

 

Kräne OeynhausenBei “Piepgras” hätte ich bis vor Kurzem noch an unsere tirilierenden Amseln gedacht, wie sie durch die Wiese hopsen. Nun weiß ich, dass es einen Immobilienentwickler mit Hang zum Offenen Brief dieses Namens gibt.

Herr Piepgras veröffentlichte vor wenigen Wochen eine Anzeige im Berliner Tagesspiegel, in der er von Bausenatorin Lompscher den “Tabubruch” forderte, nun endlich die innerstäditischen Kleingärten für den Wohnungsbau zu schleifen. Gestern legt er nun nach mit einem weiteren “Zwischenruf” an die Senatorin. “Zusammen!” lautet die Überschrift eines Briefes, in dem er abermals die Bebauung der Kleingärten – und übrigens auch des Tempelhofer Feldes – fordert. Nach seinem großen Echo im Netz und in den Medien geriert sich der Zehlendorfer diesmal deutlich sozialer, bringt die Buzzwords “Schulen”, “Kitas”, “günstige Wohnungen (sei es zum Kauf, sei es zur Miete)” und gipfelt in der rhetorischen Frage: “…wäre dann nicht auch ein Großteil der Kleingärtner bereit, auf ihre Privilegien zu Gunsten der Allgemeinheit zu verzichten?”

Man werfe mir als Kleingärtnerin bitte keine Voreingenommenheit vor, dass ich darauf antworten möchte. Meine kleinen 350 Quadratmeter Unterpachtland mit Blick auf Baukräne und bald achtgeschossige Häuser bedeuten sicher nicht mehr Parteilichkeit als die eines Immobilienentwicklers. Die beiden imageträchtigen Eckfeldanzeigen im Tagesspiegel lässt dieser sich übrigens rund 20.000 Euro kosten.

Kleingärtnerprivilegien zu Gunsten der Allgemeinheit – diese Gegenüberstellung ist nicht zulässig und ist genau das, was er später im Brief so benennt: “Keinesfalls sollte es der Politik gelingen, die Interessen der Kleingärtner und die Interessen der Restbevölkerung gegeneinander auszuspielen, da beide Gruppen bei genauer Betrachtung dieselben Ziele verfolgen.” Genau, Herr Piepgras. Kleingärtnerinteressen sind nämlich Allgemeininteressen. Die Bevölkerung ist oftmals sehr viel weiter in Sachen Nachhaltigkeit sowie ökologischer und menschenwürdiger Stadtentwicklung, als diejenigen, die damit Geld machen oder einfach einen schlechten Job: der Immobilien- und Bausektor inklusive Politik.

Sowohl der Volksentscheid zur Bebauung des Tempelhofer Feldes als auch der Bürgerentscheid für den Erhalt der Wilmersdorfer Kolonie Oeynhausen haben gezeigt, wie sehr die gesamte Bevölkerung den Erhalt dieser Flächen befürwortet. Zur Erinnerung: In allen Bezirken Berlins stimmte die Mehrheit der Teilnehmenden für den Gesetzesentwurf der Bürgerinitiative zur Beibehaltung des Areals im derzeitigen Zustand. Die Zahlen für Oeynhausen fielen noch deutlicher aus: 77 % der Wahlberechtigten in Chalottenburg-Wilmersdorf sprachen sich für den Erhalt aus – flächendeckend von der Villenkolonie Grunewald bis Charlottenburg-Nord. Dass Gärten extrem angesagt sind, die Wartelisten immer länger und viele Kolonien bei Neuvergabe die Parzellen teilen, ist ebenfalls kein Geheimnis.

Politik und Immobilienwirtschaft agieren unglaubwürdig.

Da in der Kolonie Oeynhausen dennoch 150 Gärten weichen mussten und gebaut werden durfte, auf Kleingartenland, das ein Investor für einen Quadratmeterpreis von 6,45 € erworben hatte, hat die Bevölkerung endgültig den Glauben an sozial verträgliches Bauen verloren. Dort wurde durch rot-grüne Bezirkspolitik Luxusbau ermöglicht. An Abmachungen wurde sich nicht gehalten: Weder daran, dass “nur” bis zu sechsstöckig gebaut werden darf – es wird auch Achtgeschosser geben – noch, dass zum ersten Spatenstich der Rest des Geländes gesichert wird. Die Situation für uns ist unsicher wie eh und je. Nur für die Groth-Gruppe geht’s wie immer aufwärts. Sie wirbt für den Verkauf der Wohnungen mit Slogans wie “Wohnen inmitten der Natur” – Verhöhnung der Gärtner, die dort weichen mussten. Nein, die Behauptung, auf den Kleingärten würde dann ja nur von den landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften gebaut, günstig, gut und nur für Geringverdiener, ist eine Mär, die niemand glaubt.

Nachhaltigkeit ist zukunftsentscheidend für die Stadt.

Die Kleingärtner, die Piepgras ins Umland schicken möchte, wo sie auf Berliner Stadtgütern Land erwerben können sollten, blendet den Fakt aus, dass unser Stadtklima unversiegelte Flächen braucht und nicht nur den begrünten Dachgarten. Unsere Kolonie galt als Kaltluftentstehungsgebiet für die City West. Und da ging es gerade um den ungebremsten Wind auf einem langgestreckten Nord-süd-Areal. Von den sozialen Aspekten ganz zu schweigen. Die größten Befürworter des Erhalts unserer Kleingärten waren damals die Bewohnerinnen des nahegelegenen Seniorenheims, die nun ihr Spaziergeh-Areal verloren haben, da die meisten Wege Sackgassen geworden sind.

Nur eine kleine Anmerkung am Rande, was die ökologischen Anstrengungen unserer Politik angeht und symptomatisch ist: Während sich der CDU-Bundestagsabgeordnete Klaus-Dieter Gröhler beim medienwirksamen Pflanzen von Stiefmütterchen auf Straßenland fotografieren lässt (wie nachhaltig…), nimmt die Zahl der Straßenbäume stetig ab, neue werden immer weniger nachgepflanzt. Schließlich kostet laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz ein einziger neuer Baum (Ankauf, Anpflanzen und Pflege in den ersten drei Jahren) etwa 1.200 Euro. Das sind bei den 1.500 ausgemerzten Bäumen der Kolonie Oeynhausen also etwa 1,8 Millionen Euro, die der Bezirk aufbringen müsste, wenn ihm gute Luft am Herzen läge und er für Ersatz sorgen wollte. Hätte-hätte-Fahrradkette. Geschehen ist dies natürlich nicht.

Unsere Stadt hat sich in den letzten Jahren zu Lasten der Kleingärten bereits extrem verdichtet. “Tabubrüche” gibt es schon lange: Zwischen 1990 und 2010 wurden nach Angaben des Verbandes Deutscher Grundstücksnutzer in Berlin rund 436 Hektar Kleingartenfläche vernichtet – ein Areal, fast dreimal so groß wie der Tierpark Friedrichsfelde, der größte Landschaftstiergarten Europas. Aktuell werden bis 2025 49 Kolonien vom Berliner Senat als potenzielle Bebauungsflächen genannt, für weitere 159 laufen in den Jahren danach die Schutzfristen ab. Diese gilt es zu schützen, denn es gibt andere Möglichkeiten.

 

10 Kommentare

  1. Ich verstehe diese Politiker nicht… Wenn man vor ihren teuren Zehlendorfer Grundstücken solche Prachtbauten mit 8 Geschossen bauen würde und ihnen den Blick aus ihrem teuer gepflegten Garten versauen würde, dann würden sie sofort dem ganzen Einhalt gebieten. Dem Kleinen kann man das zumuten und der kann dann auch die überzogenen Mieten zahlen oder ins Randgebiet ziehen. Da ist es immerhin Grün.
    Ich ärgere mich sehr über das Neubaugebiet in der Oyenhauser Kolonie. Die Mutter geht doch so gerne dort mit dem Hund spazieren.
    Lieben Gruß
    Andrea

    • Berlingärtnerin sagt

      Leider wird die Mama nun immer wieder an Grenzen, sprich Sackgassen, stoßen. In Berlin läuft nachhaltige Stadtplanung mächtig schief. Liebe Grüße und danke für deinen Kommentar, liebe Andrea.

  2. Unglaublich wie hier die Natur und die Kleingärtner mit Füßen getreten werden. Solche rücksichtslose Vernichtung von Erholungsraum macht mich sprachlos.
    Ich wünsche Dir und allen Mitstreitern viel Erfolg.

    Viele liebe Grüße
    Wolfgang

  3. Liebe Xenia,
    der Besitz eines Kleingartens in einer so dicht besiedelten Stadt wie Berlin ist in der Tat ein grosses Privileg, ich gehöre auch zu diesen Privilegierten. Aber es ist auch ein Fakt das 85% der Berliner in Mietwohungen leben und darauf angewiesen sind das die Mieten bezahlbar bleiben. Auch zu diesen gehöre ich. In kaum einer Großstadt gibt es so viele Kleingärten wie in Berlin. In meinem Bekanntenkreis beobachte ich wie es immer schwieriger wird eine bezahlbare Wohnung zu finden, gerade auch weil in Berlin das Einkommensniveau niedriger ist als in anderen Großstädten. Der Badarf an Wohungen in Berlin liegt bei ca. 100000 bis 2021. Weitere knapp 100000 bis 2030. In den potenziellen Lücken und Brachen sind heute schon die Kleingärten auf städtischem Pachtland berücksichtigt. Wer sich mit den Preisen für Bauland beschäftigt stellt schnell fest das bei Quadratmeterpreisen von aktuell etwa 3500 bis 3800€/m² im Stadtgebiet plus der aktuell rasanten Kostensteigerung bei den Baupreisen (die Firmen sind momentan mehr als ausgelastet und leiden unter Fachkräftemangel) ein kostendeckender Bau von bezahlbaren Mietwohnungen (ich meine keine Eigentumswohungen für Gutverdiener) eine echte Herausforderung ist (der Bau einer 90m²-Wohnung kostet aktuell etwa 500000€ inklusive Grundstückskosten).
    Mit Veränderungsverweigerung und Besitzstandswahrung ist bei diesem Thema niemandem geholfen, hier hilft nur eine Abwägung von Bedarfen und Fakten zu Gunsten der Allgemeinheit. Mein Kleingarten liegt auf städtischem Pachtland mit guter Anbindung an den Nahverkehr, ideal also für eine Bebauung da die Kosten für den Grundstückskauf für die Stadt entfallen und auch keine kostenintensive Erschliessung notwendig ist. Im Umfeld sind schon viele neue Wohnanlagen entstanden, wir rechnen auch damit das unsere Gartenanlage zukünftig in Bauland umgewandelt wird.
    Ich habe auch lieber einen kurzen Weg zur Arbeit und einen kurzen Weg zur Schule für meine Kinder als das ich jeden Tag nach der Arbeit Zeit habe in den Garten zu gehen.
    Im Zweifelsfall würde ich mich schweren Herzens für einen Garten im Stadtrandgebiet entscheiden als für eine Wohnung in irgendeiner Stadtrandsiedlung wo ich jeden Tag pendeln muss, was Zeit und Geld kostet und auch nicht unbedingt umweltfreundlich ist.
    In einer Großstadt zu leben bedeutet für mich auch sich mit unterschiedlichen Sichtweisen und Bedürfnissen der Menschen in dieser Stadt auseinanderzusetzen und dann auch mal die eigenen Bedürfnisse zu Gunsten aller zurückzustellen…
    Ich bin keine Investorin und keine Lobbyistin, aber zu meinem Beruf gehört es Bestehendes zu hinterfragen um Neues zu erschaffen.
    Viele Grüße und weiterhin viel Glück mit eurer Initiative

    • Berlingärtnerin sagt

      Liebe Theresa,

      vielen Dank für deine ausführliche Mail und deine Sicht auf die Dinge. Ich bleibe dabei, dass ich davor warne, heute stadtplanerisch die Fehler zu machen, die wir später alle bereuen. “Zu Gunsten aller” ist für mich nicht die naheliegendste Bebauung auf billigem Gartenland und Komplettverdichtung der Innenstadt.

      Ich danke auch für deine guten Wünsche wobei “weiterhin viel Glück” es leider so gar nicht trifft angesichts bereits 150 verlorener Gärten über den Willen “aller” hinweg an die für “bezahlbaren Wohnraum” nicht gerade bekannte Groth-Gruppe.

      Beste Grüße!

    • Berlingärtnerin sagt

      P.S.: Dass die Berliner Politik kein Interesse an Menschen hat, die ins Umland ziehen, ist aus steuerlicher Sicht natürlich auch völlig klar.

  4. Steffi sagt

    Wer sich zur medialen Vermittlung seiner ach so lauteren “Intentionen” genötigt sieht, just 20.000Euro für genau ZWEI Anzeigen einzusetzen, scheint mir argumentativ arg in der Defensive zu sein. Kann man auch als Kompliment für EURE Widerständigkeit sehen.

  5. Gerade in den Städten ist es wichtig, dass auch noch ein wenig Natur vorherrscht und nicht alles zubetoniert wird. Kann man sich kaum votstellen, dass diese Idylle 8stöckigen Häusern geopfert werden soll. Was da an Grün noch übrig bleibt, kann man sich vorstellen. Meist geht es auch nur um Profit und nicht um die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Das ist sogar hier in unserer Stadt so! Leider!
    Viele Grüße von Margit

    • Berlingärtnerin sagt

      Liebe Margit! So ist es. Die Immobilienwirtschaft hat eine Lobby, der normale Bürger leider nicht.

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