Tipp Gartenreise: Sissinghurst – der englische Traumgarten
Zu Gast in Sissinghurst, Englands berühmtesten Garten. Individuelle Eindrücke und Ideen für den eigenen Garten.
Ich habe wirklich lange darüber nachgedacht, ob es nicht albern ist, noch einen weiteren Artikel über Sissinghurst zu schreiben. Es gibt etliche davon, die schönsten von der Garten-Lady dieser Anlage selbst verfasst.
Aber werden nicht auch noch neue Liebeslieder geschrieben, obwohl es schon welche gibt?
Ich habe mich daher am Ende entschieden, euch meine ganz speziellen, subjektiven Eindrücke aus diesem Garten zu schildern. Und vielleicht sogar Ansätze für den eigenen Garten zu liefern.
Die Gartenkolumnen von Vita Sackville-West, Besitzerin von Sissinghurst, haben mich schon früh in meiner Gartenlaufbahn beeinflusst. Ich mag ihren kompromisslosen Stil. Von allem immer nur das Beste war ihr Motto. Wobei das Beste nicht auch das Teuerste sein musste. Sondern das wirklich zufriedenstellend Wachsende, das den Garten optimal Bereichernde. Das fand ich für mein Gärtnern auf kleinstem Raum erhellend: Hast du wenig Platz, suche nach der besten Sorte jeder Pflanzenart.
Ein Privatgarten der besonderen Art und der besonderen Besitzer.
Als ich nun zweimal das Vergnügen hatte, Sissinghurst zu besuchen, hat für mich den besonderen Zauber der Anlage ausgemacht, dass es sich hier tatsächlich um einen privat genutzten Garten handelte. Zwar wurde Sissinghurst früh – Ende der 30er Jahre, schon bald nach Fertigstellung der Anlage – öffentlich zugänglich gemacht, dennoch hat hier ein Ehepaar für sich gegärtnert und den Garten nach eigenen Bedürfnissen angelegt. Professionelle Gärtner waren beide nicht. Harold Nicholson (1886-1968) war Diplomat und Autor, seine Frau Vita Sackville-West (1892-1962) Schriftstellerin. Beide lebten eine glückliche und offene Ehe und gehörten illustren Intellektuellenkreisen an. Vita hatte zum Beispiel eine Liebesbeziehung mit Virginia Wolf und soll Inspiration für deren Roman Orlando gewesen sein.
Sissinghurst ist das außergewöhnliche Ergebnis sehr kreativer Menschen, die hier über Jahrzehnte mit hohem finanziellen Aufwand sehr fleißig, ausdauernd und hart gearbeitet haben und aus einem völlig verwahrlosten Anwesen ein besonderes Kleinod entwickeln konnten.
Heute der Inbegriff des englischen Gartens.
Berühmt ist Sissinghurst für die Gliederung eines Gartens in einzelne Gartenräume. Erfunden wurde das Prinzip hier nicht, aber besonders schön umgesetzt. Harold und Vita unterteilten durch Hecken und Mauern das mit fünf Hektar vergleichsweise kleine Gelände in zehn unabhängige Gartenräume. Verteilt über den Garten stehen fünf einzeln stehende Gebäude, in denen unterschiedliche Räume untergebracht waren. Es gibt das Haupthaus, die lange Bibliothek, den weithin sichtbaren Turm, das South Cottage sowie das Pfarrhaus. Ich finde, nur wirklich sehr unkonventionelle Menschen sind bereit, ihr Wohnzimmer in dem einen Gebäude zu haben, das Schlafzimmer in dem nächsten und das Esszimmer wiederum woanders.
Jeder der Gärten im Garten hat ein bestimmtes Thema. So gibt es den berühmten Weißen Garten, den überbordenden Rosengarten in rosa-violett mit der typischen Lutyens-Bank und den Kräutergarten. Der Bauerngarten rund um das South Cottage, in dem die Schlafzimmer untergebracht waren, glüht in Orange-, Gelb- und Rottönen. Hier steht neben der Cottagetür noch immer Harolds Stuhl, auf den ich mich auch gesetzt habe. Ein feierliches Gefühl, sag ich dir.
Darüber hinaus gibt es eine Lindenallee, einen künstlich angelegten Wassergraben, den Nuss- und den ländlich-natürlich wirkenden Obstgarten mit Blumenwiese. Schaut man vom Turm auf das Gelände herunter, fällt auf, dass das Gesamtgelände schlicht und architektonisch klar aufgeteilt, die Bepflanzung hingegen von größter Opulenz ist.
Stehst du mitten drin, entfaltet sich ein Zauber, der erstaunlich ist. Wie auf Wolke Sieben bin ich durch die Räume geschwebt. Aufgeregt. Mit der Kamera hab ich mich abgearbeitet – bloß alles festhalten, keine Kombination verpassen oder unbeachtet lassen. An den Motiven kann ich mich schließlich noch ein ganzes Jahr hochziehen und jetzt an manchem grauen Wintertag mit Gartenenergie auftanken. Aber dann kam beim zweiten Besuch die Erkenntnis: Jetzt mal halt. Kamera auch mal einfach hängen lassen, durchatmen, gucken, das Jetzt genießen. Diesen tatsächlich vorhandenen Spirit aufnehmen. Und versuchen, diesen später „nachzupflanzen“.
Wie pflanzt man Sissinghurst?
Den Garten unterteilen. Atmosphäre entsteht nicht durch eine Rasenfläche mit ein paar Sträuchern und Stauden drumherum, bei denen man mit einem Blick alles erfassen kann. Sondern in intimeren Einheiten, die einem Thema folgen. Keine Angst: Gerade kleine Gärten wirken durch Unterteilung viel größer, wecken Neugier und laden zum Erkunden ein. (Das wird selbst in Sissinghurst deutlich, wo die Besucher durch die offenen Bereiche durchlaufen, um dann in den untergliederten zu verweilen.)
Unterschiedliche Farbthemen sind für die einzelnen Bereiche eine gute Idee. Mir ist manchmal nach zartrosa, entspannt und zurückhaltend. Manchmal darf es aber ruhig mehr Energie sein. Das hierzulande oft verpönte Gelb, ja sogar Orange wurden von Vita und Harold gern eingesetzt. Und auch ich denke langsam um und rücke meinen Stuhl inzwischen gern ans Feuerfarben-Beet.
Genießt du besonders abends deinen Garten? Wie wäre es dann à la Sissinghurst mit einem weißen Beet am Sitzplatz? Die Blüten leuchten lange in der Dämmerung und erzeugen eine geheimnisvolle Stimmung. Von Vita konnte ich übrigens lernen, dass der Weiße Garten genauso gut Grüner Garten heißen könnte. Denn es kommt bei dem monochromen Konzept extrem auf spannende Grüntöne sowie Blattformen und -texturen an.
Die Vertikale betonen: Neben den Mauern, die stets berankt sind, überzeugt Sissinghurst durch Eyecatcher, die in die Höhe gehen. Im Weißen Garten betont die Mitte des Gartens ein Eisen-Pavillon. Im Rosengarten werden die Rosen so aufgebunden, dass sie als eindrucksvolle Gestalten in den Beeten stehen. Den Bauerngarten überragen und bestimmen vier mächtige Eibensäulen.
Üppigkeit und Duft sind zwei weitere wichtige Aspekte für eine Gartenstimmung wie in Sissinghurst. Rosen? Pflanze die historischen Sorten – üppige Sträucher, die über und über mit duftenden Blüten besetzt sind. Kräuter? Ein besonderes Dufterlebnis wird ein Weg sein, den du mit trittfesten Thymianen bepflanzt. Oder eine Steinbank, auf der du nicht Platz nimmst, sondern vor der du nur niederkniest um die dort wachsenden Südkräuter zu erschnuppern. Narzissen? Natürlich! Du könntest ansehnliche Mengen duftender, strahlend weißer Dichternarzissen in deiner Wiese wachsen lassen.
Den Rat, von allen Sorten die besten zu wählen, möchte ich abermals anbringen. Natürlich: Garten heißt warten. Aber was einfach nicht wachsen will oder in Gestalt, Farbe oder Blühdauer enttäuscht: Trenne dich und schaffe Raum für die bessere Lösung. Gerade, wenn der zur Verfügung stehende Platz begrenzt ist. Wie befriedigend sind das Bestellen neuer Pflanzen und das erste Angießen eines neu gestalteten Beetes.
In diesem Sinne: good luck and enjoy.
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