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Das Interview: Sven über das Gärtnern in Krisenzeiten

Sven beim Umtopfen

In meiner Reihe über spannende Menschen mit grünem Daumen möchte ich euch heute Sven von Beetwunderung vorstellen. Er ist Psychologe und hat daher auf das Thema Garten einen ganz besonderen Blick.

Lieber Sven, stell dich und Beetwunderung doch bitte kurz vor.

Sven Beetwunderung

Mein Name ist Sven, ich habe vor eineinhalb Jahren begonnen den Gartenblog Beetwunderung.de zu schreiben. Ich lebe mit meinem Herzensmensch in einem kleinen Häuschen zwischen Ulm und Biberach. Karla und Austin, unsere zwei Hunde, leben und wirken ebenfalls dort.

Wir haben einen kleinen Garten, den wir nach unseren Wünschen vor zwei Jahren komplett umgestaltet haben. Daraus entstand die Idee zu einem Gartenblog. Auf meinem Blog schreibe ich von meinem Garten, von Gartenreisen und gebe Tipps rund um alle Gartenthemen.

Wer oder was hat die Leidenschaft für Pflanzen und Garten in dir geweckt?

Das ist gar nicht so einfach zu beantworten, denn es gab mehrere Initialzündungen und eine lange Zeit ohne Garten. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Garten von Lisbeth und Hans, eine Familie, die auf mich und meine Schwester aufgepasst hat, wenn unsere Eltern gearbeitet haben. Dort wuchsen am Rande des Gemüsebeetes Nelken. Dann gab es meinen Uropa mit dem ich das Grab meiner Uroma gepflegt habe. Im Studium lernte ich Karin und Klaus kennen, die einen Schrebergarten hatten und wir dort mitarbeiten durften. Meine Schwiegereltern haben einen schön gestalteten Garten. Auch dort haben wir viel geholfen. Ich erlebte die Gartenarbeit immer als Bereicherung, deshalb stand fest: Ich brauche unbedingt einen Garten.

Gewächshaus

Wir haben uns auf einer Bloggerveranstaltung näher kennen gelernt und daher weiß ich, dass du Psychologe bist. Ich möchte dich daher gern fragen, warum uns das Gärtnern eigentlich so guttut?

Das hat mehrere Gründe. Ein Grund ist, dass man sich beim Gärtnern ganz im Moment befindet. Man denkt nicht an Morgen oder an andere Dinge, sondern ist ganz konzentriert beim Jäten, Schneiden und Graben. Das kommt in unserer heutigen Zeit recht selten vor. Meist sind wir nicht bei der Sache, die wir gerade tun. Wir denken an die Arbeit, was noch erledigt werden muss und was wir gleich erledigen wollen. Das kann auf Dauer krank machen.

Ein weiterer Grund ist, dass wir beim Gärtnern oft belohnt werden. Wenn die Saat aufgeht, die Stauden im Frühjahr wiederkommen oder das Beet gut geplant ist, erleben wir ein Glücksgefühl – das Belohnungssystem springt an. Genau das möchte unser Gehirn wieder erleben und wir gärtnern und gärtnern und gärtnern weiter. Und erleben immer mehr glückliche Momente.

Und dann ist da die Natur oder auch sogenannte „Grüne Räume“, die es schaffen, unsere Herzfrequenz, die Adrenalinausschüttung und den Blutdruck zu senken. Der Körper kommt in eine Art entspannten Zustand. Stress wird gemindert. Dies hilft Körper und Seele zu gesunden bzw. gesund zu bleiben.

Hübsche Gartendeko

Derzeit herrscht Krieg quasi direkt vor unserer Haustür. Ich erlebe, dass mir der Garten gerade noch wertvoller als sonst erscheint. Mit Corona war das auch schon so. Wie ist das psychologisch zu erklären?

Es ist ein bisschen, wie mit dem fehlenden Klopapier in der Corona-Zeit. Wenn etwas rar, selten oder kaum zu bekommen ist, wird es wertvoll. Unsere Gesundheit, unsere Freiheit, unsere Zukunft sind in den letzten Monaten immer wieder bedroht gewesen. So besinnt man sich auf Menschen, Orte und Situationen, in denen man hat, was bedroht ist. Gerade im Garten scheint all das möglich zu sein. Dort ist man frei, bleibt gesund und der Garten steht für den ewigen Kreislauf des Lebens. Kein Wunder, dass Gärten so wertvoll erscheinen oder sind.

Angesichts des Krieges erscheint mir das Thema Garten auf der anderen Seite auch schrecklich banal. Man fragt sich: Hat die Welt nicht gerade Wichtigeres zu tun?

Wenn es uns schlecht geht, neigen wir dazu, die Dinge sein zu lassen, die uns eigentlich guttun würden. Man geht nicht mehr in den Verein, trifft sich nicht mehr mit Freunden oder lässt das Gärtnern sein. Alles dreht sich nur noch um das Problem oder die Krise. Wenn sich alles nur noch darum dreht, drohen wir in Melancholie oder gar einer Depression zu versinken. Deshalb ist es wichtig, Dinge zu machen, die guttun. Nur so schaffen wir es, unsere Batterien wieder aufzutanken, damit wir diese Krisen bewältigen können.

Das heißt, auch wenn wir mal einen Durchhänger haben: aufraffen und in den Garten gehen.

Eine Frage als Bloggerin: Ich weiß, dass es viele Blogger und andere, die in den sozialen Medien unterwegs sind, umtreibt, ob man es für sich ok finden „darf“, schöne Sträuße zu posten, während anderswo die Städte in Schutt und Asche liegen. Wie siehst du das?

Wie schon gesagt, tut das vielen Menschen gut. So schafft man es, die Angst vor einem Atomkrieg in Schach zu halten. Man macht etwas Schönes, kommt auf andere Gedanken und lenkt sich ab. Man braucht aber auch das Gefühl, etwas machen zu können. Deshalb ist es wichtig, zu spenden, Kleider zu sammeln oder sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. So fühlt man sich nicht mehr ganz so hilflos.

Ist das nicht die Moral, die eine Rolle spielt?

Natürlich, denn moralisch ist ein solches Verhalten durchaus angreifbar. Ob es allerdings eine moralische Verfehlung ist, kommt auf die Perspektive an. Ich finde es völlig in Ordnung, wenn man sich einerseits für die Ukraine engagiert und andererseits das Leben lebt und sich und anderen Gutes tut. Nur wer für sich selbst sorgt, hat genug Kraft auch für andere zu sorgen. Ohne Selbstfürsorge keine Hilfe für andere – zumindest nicht dauerhaft. Deshalb ist es für mich moralisch nicht verwerflich, wenn man Freude daran hat, Gartenbilder zu posten. Wir müssen lernen, dass jeder in diesen Zeiten anders mit seiner Angst, der Ungewissheit und der Ohnmacht umgeht. Was zählt ist Menschlichkeit und die hat viele verschiedene Gesichter.

Gern würden wir dich noch als Gartenmenschen näher kennen lernen: Bitte verrate uns doch welcher Gartentyp bist du?

Rosa oder gelb?

Ah, ich kenne die Fragen von deinen anderen Interviews, aber diese Festlegungen beschreiben mich nicht wirklich. Ich bin sehr vielfältig interessiert, daher trifft für mich oft beides zu.

Dann erklär gern, was dir zu Beidem in den Sinn kommt.

Rosa und Gelb mag ich beide! Allerdings nicht in einem Beet. Ich habe in jedem Gartenraum ein eigenes Farbkonzept.

Abendstimmung im Garten

Gemüse oder Blumen?

Vornehmlich Blumen, aber ohne Gemüse geht es nicht! Ich habe keinen großen Gemüsegarten, aber baue Leckeres zum Naschen an. Auch Erdbeeren liebe ich.

Unkraut oder Wildkraut?

Für mich ist Unkraut, was ich nicht im Garten haben möchte. Das können auch versamte Stauden sein. Beikraut darf wachsen, wenn es mir gefällt oder Sinn macht. Deshalb habe ich auch Wildkräter im Garten. Es kommt also auf meine Sicht auf die einzelne Pflanze an.

Gartenhandschuhe oder Erde unter den Fingernägeln?

Lieber Erde unter den Fingernägeln. Allerdings reagiert meine Haut neuerdings auf die Erde. Deshalb trage ich teilweise Handschuhe.

Rosenwurzelschnitt

Gerade oder geschwungene Linien?

Ich liebe gerade Grundstrukturen und wilde Beete.

Entspannt oder immer auf Trab?

Meistens auf Trab, da das achtsame Arbeiten auch entspannt…

Gibt es Gartenbeschäftigungen, die du am liebsten den ganzen Tag lang tun würdest?

Ich liebe es, Beete zu gestalten und Verblühtes abzuschneiden. Das könnte ich den ganzen lieben langen Tag tun.

Und auf der anderen Seite: Gibt es Tätigkeiten im Garten, mit denen man dich jagen kann?

Ich hasse es, den Rasen zu mähen. Das hat mich früher oft unter Druck gesetzt. Ein Rasen sieht nur gut aus, wenn er gepflegt ist. Dann schmeichelt er den wilden Beeten und rahmt sie ein. Wenn es dann in der Freizeit nur regnet und der Rasen deshalb nicht gemäht werden kann, entsteht nur Frust. Deshalb habe ich keinen Rasen mehr. Das ist auch für die Tierwelt wesentlich besser, denn nun gibt es mehr Blumenbeete.

Welche drei Pflanzen und Gartenutensilien würdest du in einen „einsamen Garten“ mitnehmen und warum?

Bei den Pflanzen würde ich die Akelei und den Sonnenhut, Echinacea, mitnehmen. Das sind meine Lieblingsblumen und außerdem versamen sie sich gut. Zum Essen wäre die Tomate dabei. Die Tomate ist Dauergast auf meinem Speiseplan.

Rabatten mit Iris und Akelei

Als Gartenutensilien würde ich den Liegestuhl, die Gießkanne und ein Gartenbuch mitnehmen. Ich hoffe, dass ich in einem einsamen Garten dazu komme, im Liegestuhl zu lesen. Zum Gärtnern brauche ich auf jeden Fall eine Gießkanne. Mit Wasser beginnt das Leben…

Noch eine abschließende Frage an dich als Psychologe: Was hat dich dein Garten gelehrt, was vielleicht kein Mensch konnte?

Achtsamkeit, den nur dort bin ich im Hier und Jetzt!

Ich danke dir von Herzen für das Interview und hoffe, dass wir bald unsere Gärten auch wieder völlig unbeschwert genießen können.

Copyrights Fotos: Beetwunderung

8 Kommentare

  1. Hallo Xenia,
    vor dem Dilemma weiter bloggen und schöne Bilder zeigen oder aus Respekt den leidenden Menschen gegenüber wenigstens eine Pause zu machen stand ich auch. Ich habe mich dann entschieden, erst einmal mit weniger Farbenfrohem weiter zu machen und wie viele andere mit Gelb-Blau-Kombinationen meine Solidarität auszudrücken. Aber schließlich tut uns allen gerade jetzt Farbe so gut!
    Svens Sicht “Man kann nur für andere da sein, wenn man gut für sich selbst sorgt” finde ich da sehr hilfreich!
    Liebe Grüße
    Susanna

    • Berlingärtnerin sagt

      Liebe Susanna,

      wie schön, dass dir Svens Gedanke zur Selbst- und Fremdsorge etwas mitgibt. Mir geht es auch so. Auch das Prinzip der Achtsamkeit, das Auf-sich-hören, gehört dazu. Und dann das zu tun, was sich für einen selbst richtig anfühlt. Denn Allgemeinwissen oder -Ratschläge gibt es ja eigentlich nicht. Wie du mit der Situation umgegangen bist, finde ich auch sehr stimmig.

      Beste Grüße
      Xenia

  2. Liebe Xenia, ein interessantes Interview mit Themen, die viele Menschen aktuell beschäftigen. Und ein Plädoyer für die Selbstfürsorge durch Gärtnern! Wie schön! Neues Leben entstehen zu sehen, mitzubekommen, wie jedes Jahr die Natur erneut erwacht hat etwas Tröstliches. Im Garten fühle ich mich der Natur verbunden, als deren Teil ich mich auch sehe. Nach einer Stunde im Garten komme ich mit vom Wind durchgewehtem Haaren und frischen Gedanken geerdet wieder ins Haus! Ein Hoch auf das Gärnern, das uns Kraft schöpfen lässt um wieder für andere da zu sein und vielleicht auch in der Welt ein klitzekleines bisschen etwas zu verändern! Vielen Dank für den schönen Artikel! Liebe Grüße Marion

    • Berlingärtnerin sagt

      Liebe Marion,

      Vielen Dank für diesen schönen Kommentar, der auch richtig Kraft gibt.

      Alles Gute für dich und viele erdende Momente in deinem Garten,
      Xenia

  3. Mein Garten hat mir schon über viele schwierige Situationen hinweg geholfen. Nach einer verpfuschten OP hab ich mir erst mal den Spaten geschnappt und habe den Kompost umgegraben. Nachdem ja eh schon alles “kaputt” war, hat mir das unheimlich gut getan. Ich konnte aktiv etwas tun und hatte gar keine Zeit, nachzudenken! Ich kann im Garten alles um mich herum vergessen und meine Batterien wieder aufladen.
    Viele Grüße von
    Margit

    • Berlingärtnerin sagt

      Liebe Margit,

      irgendwie tut mir bei der Vorstellung, wie du da geackert hast, selber der Rücken weh, aber ich kann es dir sehr gut nachempfinden, dass du ein Ventil brauchtest. Ich hoffe sehr, dass es dir inzwischen wieder gut geht!

      Herzliche Grüße
      Xenia

  4. Steffi sagt

    Das Dilemma mit dem Rasen kenne ich auch :) Ich wünsche Euch frohes Schaffen und eine schöne Gartensaison.
    Liebe Grüße,
    Steffi

    • Berlingärtnerin sagt

      Hallo, liebe Steffi,

      stimmt, der Rasen ist “gefühlt” pflegeleicht und entpuppt sich dann als zeitaufwendigsten.

      Wenn man nicht komplett umgestalten will wie Sven, kommt vielleicht ein Blumenrasen in Frage, den ich persönlich auch richtig hübsch finde. https://www.berlingarten.de/blumenrasen/

      Hab einen schönen Sonntag
      Xenia

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